Birgit hat sich gegen ihre genetisch vorgegebenen Augenbrauen entschieden. Ich blicke auf eine feine schwarze Linie auf glatter Haut, der leichte Schwung wird im äußeren Drittel kurz vor dem Bogen durch einen kleinen senkrechten roten Strich unterbrochen. Ich erinnere mich wage daran wie sie mir die Entscheidung erzählt: Sie hatte dort eine Narbe gehabt, die Ihre Braue durchbrach und das gefiel ihr so sehr, dass sie es verewigte.

Birgit war wie keine Frau mit der ich regelmäßig zu tun hatte. Als meine acht Jahre ältere Cousine mich in den bunten Kreis der Frauen vom Mädchentreff Double XX in der Villa Kreuzberg mitnahm war ich 9 oder so. Alle waren älter, teilweise erwachsen, zwangsweise erwachsen. Sie alle hatten von diesem Nähkurs irgendwie erfahren und ließen sich von Birgit zeigen, wie sie Kleidung für ihre eigene Form nähen können. Wir maßen uns gegenseitig ab, große Frauen kleine Frauen, schmale, breite, ohne eine Bewertung dieser Centimeter. Sie waren rein funktionelle Information. Woche für Woche wurde lautes Gelächter unterbrochen von konzentrierter Arbeit und ich mit dabei. Ich machte alles mit. Dieser Bewertungsfreie Ort an dem wir unsere individuellen zarten Schutzschilder schufen, erlaubte es mir, ich selbst zu sein.

Ich ging in den Raum und grüßte amüsiert: „Hallo, wir werden alle sterben.“

Den paar verblüfften Blicken winkte meine Cousine ab, dit sei halt mein schwarzer Humor.

So nähten wir also weiter, trafen uns zu Videoabenden, organisierten einen Kuchenbasar auf der Wiese vor der Villa, irgendwer war bei einer sehr ernsten Bezirksversammlung, worum ging es? War der Basar ein Hilferuf? Meine Schokokugeln gingen gut weg. Ich war stolz und froh und müde. Irgendwas war wichtig, auch wenn wir alle sterben werden. Irgendwas war jetzt wichtig und ich war Teil davon. Der Tod in meinem 9 jährigen Leben allgegenwärtig, entschied ich mich mit jedem Lächeln aufs Neue zu leben.

Autorin: Senem