Wer die Geschichte einer Stadt erzählt, beginnt gewöhnlich mit Gründungs-legenden oder wenigstens ersten urkundlichen Erwähnungen, folgt ihren Gebietserweiterungen und Herrschern, beschreibt pflichtgemäß berühmte Einwohner und mögliche, über die Regionalgeschichte hinausweisende Ereignisse ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung.

Ein naturgemäß eher flüchtiger und dadurch meist übergangener Aspekt dieser Entwicklung sind der Geruch bzw. die Gerüche einer Stadt. (obwohl man sprachlich etwas übersehen oder überhören, aber erstaunlicherweise nichts überriechen kann)

Diese können in Berlin wie die Lindenblüte für alle wahrnehmbar oder wie die ausschließlich bei bestimmten Wetterlagen auftretende Berliner „Champagner-Luft“ nur sehr individuell empfindbar sein. Was man dabei als angenehm oder wenigstens akzeptabel empfindet, ist immer subjektiv u n d gleichzeitig von den historischen, bzw. gesellschaftlichen Gegebenheiten der Situation abhängig. Den sprichwörtlich berüchtigten Urin-Gestank einer Bahnunterführung erleben wir heute als ungewohnt und ekelhaft, wogegen die Bewohner einer mittelalterlichen Stadt oder sogar noch die des Schlosses von Versailles hierbei nichts Ungewöhnliches wahrgenommen hätten.

Als ich im November 1983 Berlin-Kreuzberg zum ersten Mal in der Heizperiode besuchte, fiel mir sehr bald ein bis dahin unbekannter, aber hier überall präsenter rauchiger Geruch in der Luft auf. Sehr viele Häuser waren unsaniert, grau und oft sogar noch von Einschusslöchern aus dem Krieg gekennzeichnet – und eben mit Kohle-Öfen beheizt. In der westdeutschen und stark von Nachkriegs-Architektur geprägten Stadt meiner Kindheit gab es solche Heizungen kaum noch, weshalb ich diesen früher wohl für alle Städten typischen Geruch nicht kannte. Frisch verliebt und endlich weg aus dem als damals so empfundenen Erz-spießigen Kaff, war er anfangs sogar für dieses köstliche Gefühl mit prägend.

Zumindest eine Zeitlang…  Aber spätestens, wenn man aus Kreuzberg kommend in Dahlem aus der U-Bahn stieg und beim ersten Atemzug jedes Mal sofort spürte und schmeckte, wieviel besser hier die Luft war (und bis heute ist), kam man - selbst als Raucher - schon ins Nachdenken. In den Schwarzweiß-Verfilmungen von Edgar Wallace Krimis, die in den 70er Jahren häufig im Fernsehen wiederholt wurden, wurde als Stilmittel oft Nebel eingebaut, beim man scheinbar wirklich kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Mitte bis Ende der 80er Jahre verschlechterte sich die Luftqualität in Kreuzberg so stark, dass es in Extremfällen an einigen Tagen tatsächlich fast wie im Film wirkte und Atmen, neben dem omnipräsenten Rauchgeschmack selbst für Jüngere unangenehm wurde.       

Zeitgleich mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung begann hier langsam eine Veränderung, die im Laufe der nächsten zehn Jahre zu einer signifikanten Verringerung der Schadstoffwerte führten:  „Stickstoffoxide sind beispielsweise um 73 Prozent zurückgegangen, Schwefeldioxid sogar um 96 Prozent1. Auch die Belastung mit Partikeln (sogenannter Feinstaub) ist geringer geworden: Die Emissionen aus dem Auspuff der Fahrzeuge verringerten sich zwischen 1989 und 2015 um mehr als 90 Prozent“. (1)

Als Gründe werden u.a. genannt die Einführung wirksamer Rauchgasreinigungs-systeme bei Kohlekraftwerken und bei der Abfallverbrennung, der (leider nur) fast vollständige Ersatz von Kohleheizungen durch Fernwärme und Gasheizungen sowie die Einführung von effizienterer Motoren, Partikelfiltern bzw. des geregelten Katalysators bei Kraftfahrzeugen und Baumaschinen auf Baustellen der Öffentlichen Hand. (2)

Hier in Kreuzberg gibt es immer noch viele Wohnungen mit Ofenheizungen, in denen die Bewohner alles Brennbare in Wärme und stinkenden, giftigen Rauch umwandeln. Doch das ist eine andere Geschichte. Selbst wenn die Luftqualität, auch aus solchen Gründen in den Berliner Bezirken immer noch sehr unterschiedlich ist, habe ich Edgar Wallace-Wetter in Berlin seit Jahren nicht mehr erlebt - und auch nicht vermisst. (3)

1: www.berlin.de/umweltatlas/luft/entwicklung-der-luftqualitaet

2: www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/luft/luftqualitaet/langfristige-entwicklung-der-luftqualitaet

3: ebd.

Frieder