Mittagssonne. Kippe Kaffee Klo. Ich lasse die Jalousie runter. Geschmeidig. Neuwertig. Ich habe sie erst seit kurzem. Das Eckhaus in der Simon-Dachstraße, denke ich und beginne mich zu erinnern. Ein älteres Haus mit Steinmetzarbeiten über der Haustür. Auch die Tür selber scheint alt. Das Holz verziert mit Schnitzereien, nur das getönte Glas wirkt neu. Es war ein sonniger Nachmittag. So wie heute. Die Klingelanlage abgerockt, nebenan `ne Kneipe. Es riecht ein wenig nach Pippi. Touristengegend.

Im Eingangsbereich in einer alten violetten Waschschüssel mit defektem Henkel und dem Verpackungskarton eines Waschautomaten präsentiert sich allerhand Geraffel. Ein paar Töpfe, Gläser, auch Teetassen und Teller. Einige Kabel und Mehrfachstecker, leicht vergilbt. Eine Tischdecke mit aufgesticktem Vogelmotiv, Essstäbchen aus Bambus, ein Kerzenständer aus Ton. Offensichtlich Kinderarbeit, wild mit bunten Blumen bemalt. Ferner ausgemusterte Alltagsmaterie und, an die Frontseite geklebt, ein Din A4 Blatt unliniert mit der Aufschrift: “Zu verschenken“, viel Spaß. Und ganz in die Ecke geduckt, im Schatten vor Freude vibrierend: besagte Jalousie! Neuwertig, na klar. Die Breite perfekt, die Farbe, ein lässig eloxiertes Aluminium. Die Länge im ausgefahrenen Zustand nur noch eine Formsache. Das passt. So was spürt man. Meine alte Jalousie hatte Lamellenkaries und so war ich an jenem Tag der wohl glücklichste Mensch im Kiez.

So ist das in Friedrichshain mit den Verschenkeboxen. Jedenfalls bei mir im Nordkiez. Da ich diesen selten, Friedrichshain nicht all zu oft und Berlin eigentlich nur unter Protest verlasse, kann ich nicht sagen wie es im Rest der Republik um die Verschenkebox bestellt ist. Dabei ist das Prinzip ein zutiefst menschliches. Verschenkekisten sind der sichtbare Beweis dafür, das sich Menschen nicht nur zum Schlechten wandeln. Jedenfalls möchte ich dieses noch frische Verhalten, sich seiner überdrüssigen Alltagsmaterie zu entledigen, als Bereicherung wahrnehmen.

 

Aufgefallen ist mir das Phänomen der Verschenkeboxen schon vor rund 10 Jahren. Allerdings waren das eher Verschenkehaufen bzw. Plunderansammlungen deren Bestimmung nicht immer völlig klar war. Konnte es sich doch genauso um übriggebliebenen Sperrmüll oder fahrig entsorgtem Schmökes aus einer Messiewohnung handeln.

Strukturierter ging es da schon ein, zwei Jahre vor den Coronamaßnahmen zu. Ungezieferfreie Umzugkartons neueren Ursprungs tauchten auf. Ihr Inhalt konnte sich schon sehen lassen. Der gute Erhaltungszustand trotz diverser Gebrauchsspuren, die Auswahl und selbst die Ordnung in den Kisten, ließ auf einen bewussten Umgang schließen. Diese Kisten waren mit Verstand gepackt. Statt all das Zeug in die gelbe Tonne oder den Hausmüll zu kippen, haben sich

Menschen dazu entschlossen, ihren noch tauglichen Kram anderen Menschen zur Verfügung zu stellen. Nun schrieb man auch mit dickem Filzer auf Papier oder Pappe die Worte: "Zu Verschenken“. Man benutzte Tesafilm, um die Nachricht zu befestigen und oft war da eine Freude im Ensemble, die man spüren konnte.

Ab 2020-2021 nahm die Bereitschaft zu, Dinge weiterzugeben. Dinge, von denen man sich trennen wollte. Man muss ehemals Liebgewonnenes nicht verschämt im Müll entsorgen und sich irgendwie mies fühlen. Schließlich zerfallen Dinge nicht einfach zu Staub, oft tun sie noch ihren Dienst, sind aus unterschiedlichen Gründen aber nicht mehr gewollt. Vielleicht ist in der Isolation der Coronazeit auch noch mehr Menschen nicht nur klar geworden, wie viel überschüssigen Kram sie besitzen, sondern wie schnell und einfach sich neuer überschüssiger Kram wieder ordern lässt.

Ich sehe jedenfalls ganz klar einen Zusammenhang zwischen der Vielfalt und der Menge weitergegebener Gegenstände, der Vielfalt und der Anzahl zugezogener Neu-Friedrichshainer

sowie der Höhe ihrer Einkommen: nämlich jene Mieten bezahlen zu können, die bereits verdrängte Kiezbewohner sich nicht mehr und Geringverdiener nur unter Burnout leisten können. Ob jene Neu-Friedrichshainer in ihren mit Eisengittern und Stahltüren bewehrten Wohnkomplexen neuesten Datums nun aus Altruismus handeln oder sich nur ein lustiges Gefühl einstellt bei dem Gedanken, den bunten Assis und armen Würstchen ihren ollen Schmökes zukommen zu lassen ist völlig unerheblich. Denn ein Großteil der Verschenkeboxen sind, wenn nicht mit Liebe, dann doch mit Spaß und einer Freude am Schenken gepackt worden. Und schließlich: Leben ist Veränderung und ein Kiez, der sich nicht mehr verändert ist bald ganz tot. Immerhin beschert mir diese Veränderung nicht nur regelmäßig neue Klamotten, sondern hat auch dafür gesorgt, mir diese erstklassige Jalousie zukommen zu lassen. Und weil alles, was lebt eine Entwicklung durchmacht, so hat auch die Verschenkebox von Heute ihre Anfänge in der Vergangenheit. Davon kann auch Astrid in ihren Texten berichten.

Tom

Kiezassel. Parasitär. Hat sich in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Friedrichshain eingenistet. War aktiv beteiligt am Befall leerstehender Häuser. Spielt in einer Punkband. Was sonst.

Texte von Tom