Im Zuge der Änderung der Verfassung von Berlin zur Ermöglichung von Bezirksfusionen wurde im Juni 1998 unter anderem die Zusammenlegung der bis dahin eigenständigen Stadtbezirke Friedrichshain und Kreuzberg beschlossen.
Doch noch heute ist die Oberbaumbrücke die einzige Straßenverbindung zwischen den Stadtteilen Friedrichshain und Kreuzberg.

Nun gab es in dieser Zeit ständig Frotzeleien zwischen den Kreuzberger Alt- und den Friedrichshainer Neu-Hausbesetzern. Auch diese stammten Anfang der 90-er in übergroßer Mehrheit aus dem alten Westberlin. (Die Ostberliner Jugend war zu diesem Zeitpunkt vor allem mit Konsumieren und die Welt entdecken beschäftigt. Schließlich hatten alle eine Weltanschauung, jedoch die Welt noch niemals angeschaut. Aber das ist eine andere Geschichte.)

So wurde beschlossen, die Reibereien einmal jährlich auf der „neutralen“ Oberbaumbrücke öffentlich in einem angemessen würdevollen Rahmen auszutragen. Einem ökologischem  Anspruch sollte dabei selbstverständlich genüge getan werden. Also: Wasser- und Gemüseschlacht!

Fortan trafen sich einmal jährlich im Sommer ein paar hundert fröhliche Chaoten ganz ohne Hass zu einem Kräftemessen der besonderen Art. Das Spektakel wurde in den Jahren von 1998 bis 2013 jeweils als Demonstration angemeldet und in schöner Regelmäßigkeit auch genehmigt.
Bei den Gemüseschlachten auf der Oberbaumbrücke war so ziemlich alles erwünscht, was matschte und stank. Gegenseitige Verletzungen sollten jedoch vermieden werden. Erlaubt waren deshalb nur Biowaffen der Kategorie Soft-Non-Lethal-Wheapons. „Kartoffeln, festes Obst und ähnliches, das nicht bereits verfault ist, bitte vorher durch Einsatz von Wasser und Hitze verweichlichen!“

Einmal stellte sich dabei das Gewaltmonopol heroisch vor den beiden Enden der noch unbespaßten Brücke auf und geriet damit zwangsläufig zwischen die Fronten. Gaaar keine gute Idee.
Davon nachhaltig traumatisiert beschränkte sich die Polizei fortan auf einen Beobachterstatus.

Die Schlacht wurde regelmäßig von den Kreuzbergern verloren. Sie nannte ihre Fluchten zum Kreuzberger Ufer dann „Parthischen Rückzug“, allerdings ganz ohne Ross und Bogen.
Die Friedrichshainer hatten den entscheidenden Vorteil für sich, dass sie über schwere Technik vom Fips-Gelände, post-NVA, meist aus sowjetischer Produktion, verfügten. Satirisch garnierten sie das Ganze auch noch mit dem alten SED-Mantra „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“, wobei sie „Sowjetunion“ durch „Friedrichshain“ ersetzten.
Einzig im Jahr 2011 beanspruchten die Kreuzberger wegen Zuspätkommens der Friedrichshainer Seite den Sieg für sich. Die Kreuzberger waren listig eine Stunde vor der vereinbarten Zeit losgelatscht, konnten jedoch am Ende der Brücke am weiteren Vormarsch auf Friedrichshainer Boden gehindert werden.

Aus dieser Zeit stammt auch der Spruch, den man bis heute gelegentlich auf T-Shirts lesen kann: „Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer“. Den trugen die immer siegreichen Friedrichshainer in stolzer Selbstironie auf der Brust.

Noch heute meine Lieblingsepisode:

Einmal, in den letzten Jahren des Spektakels, der Film meiner analogen Kamera war ärgerlicherweise gerade verschossen, erschien entlang diesem Gemüsegewitter, wie plötzlich aus einem Ufo entstiegen, ein gar seltsamer Zug: Geführt von einer Art Guide ca. zwölf bis fünfzehn Männlein und Weiblein im „Geschäftslook“, alle gekleidet in dunkle schnieke Anzüge bzw. Kostüme und dazu standesgemäßen Lackschuhchen. Der Zug bewegte sich von Friedrichshain kommend auf dem Gehweg vor den U-Bahn-Bögen Richtung Kreuzberg und blieb in der Mitte der Brücke gaffend stehen, während direkt daneben auf der Straße sich ein fröhlicher Mob austobte.
MangererInnen auf der falschen Kieztour. Totengräber des Hier und Jetzt. Ein Jeder die personifizierte Gentrifizierung.

Das gefundene Fressen für die fröhliche Anarchomeute.
Ein bis zwei Minuten geschah wundersamerweise nichts.
Dann plötzlich schienen alle auf der Straße das gleiche überirdische Signal zu empfangen: „Wer ohne Unschuld ist, werfe den ersten Matsch!“

Erstmal gab es quasi als Grundierung einen paar Ladungen von den Wasserwerfern. Dem folgten in schneller Frequenz bei sehr hoher Trefferquote hunderte Wurfgeschosse: Faule Fische und Tomaten, matschige Orangen, nasses schimmliges Brot plus Spaghetti, Mehltüten, Puddingbomben. Dazu noch reichlich faule Eier von den Katapultscharfschützen.

Dem nunmehr zum Himmel stinkenden dreckigen Dutzend wurde nach ein paar Minuten gnädig die Flucht nach Kreuzberg gewährt.
Ob danach irgendeiner von ihnen diese Gegend jemals wieder betreten hat, ist nicht überliefert.

Dass später jemand aus dem dreckigen Dutzend aus Rache das Projekt „Mediaspree“ ersonnen habe, fällt wohl eher in den Bereich der Verschwörungstheorien.

Die agierenden Kampfbrigaden (je nach Jahr auch wechselnd)

  • Wasserarmee Friedrichshain (WAF)
  • Kreuzberger Landwehr, militärischer Arm der „Kreuzberger Patriotische Demokraten / Realistische Zentrum (KPD/RZ)
  • Die Bergpartei
  • Anarchistische Pogopartei Deutschlands (APPD)
  • Total Krasse Kreuzberg-Gegner (TKKG)
  • Friedrichshainer Feministische Frauen-Front (FFFF)
  • Friedrichshainer Amorphes Zentrum (FAZ)
  • Anarcho-Zynistische-Offensive-Berlin-Fraktion Friedrichshain AZOB-FF)
  • Berliner Sektion der Hedonistischen Internationale
  • Proletarische Plansch Armee Nord Neukölln-Ählitetrupp (PANNÄ)

Die Waffen

  • Schaumgummischlagstöcke
  • selbstgebaute Wasserwerfer
  • fauliges Gemüse
  • verfaulte Fische
  • Puddingbomben
  • Mehltüten
  • Gemüseschleudern
  • Katapulte für faule Eier (Die Scharfschützen)

Diverse Videos sind auf auf YouTube kostenlos abrufbar.