Seit Dezember 1971 wohne ich ohne Unterbrechung im Ostberliner Stadtbezirk Friedrichshain, heute Friedrichshain-Kreuzberg. Immer im Umfeld einer 2,5 Kilometer langen ehemaligen Prachtmeile, der Karl-Marx-Allee. In den 70er und 80er Jahren waren hier Restaurants und exklusive Spezialgeschäfte. Hier gab es immer mal wieder Dinge, die in der DDR nur selten oder gar nicht im Angebot waren. Deshalb waren auf dieser Shoppingmeile viele „DDR Touristen“ unterwegs. Auf der stadtauswärts führende Seite der Allee luden Cafés, Restaurants, zwei große Premierenkinos und ein Biergarten zum Flanieren unter Bäumen ein. Es war der Ku ́damm des Ostens. Besonderes Flair verbreiteten in den Abendstunden die alten, großen Lampen aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, sogenannte Kandelaber. Diese wunderbare Allee mit ihrer einzigartigen Architektur war mein „Wohnzimmer“. Hier fühlte ich mich wohl !

Nach der friedlichen Revolution 1989 und dem Untergang der DDR versank diese Allee allerdings in einen sehr langen Dornröschenschlaf. In den ersten 15 Jahren gab es hier starke Verwerfungen. Die Allee funktionierte nicht mehr als Einkaufsmeile. Verdrängung (neudeutsch Gentrifizierung) der alten Geschäfte durch Gewerbesteuererhöhungen, Immobilienverkauf und fehlende Kaufkraft des Umfeldes bewirkten eine hohe Fluktation. Alteingesessene Spezialgeschäfte verschwanden, vielfacher Leerstand und wenig ansprechende Geschäfte prägten nun für lange Zeit das Bild des einstigen Schaufensters von Ostberlin. Es tat mir weh, diesen jahrelangen Verfall mit anschauen zu müssen.

Im Jahr 2005 hatte ich die Möglichkeit, gegen diesen Verfall zu arbeiten. Das Pilotprojekt
„ Unterstützung von Geschäftsstraßen in Friedrichshain/Kreuzberg“ gab mir und zwei weiteren Mitarbeitern die Möglichkeit, als „Quartiermanager“ für die Karl-Marx-Allee tätig zu werden. Wir waren die Vermittler zwischen dem „Bezirksstadtrat für Wirtschaft“ und den 110 Gewerbetreibenden vor Ort. Durch zahlreiche Passantenbefragungen auf der Allee sowie regelmäßigen Gesprächen mit den Geschäftsleuten konnten wir den Ist-Zustand dokumentieren, analysieren und Lösungswege aufzeigen. Besonderere Schwerpunkte waren hierbei der marode Zustand der historischen Straßenbeleuchtung (Kandelaber) und der Verkauf des Kinos „Kosmos“ an einen privaten Investor. Unsere Arbeitsgruppe hatte die 246 Straßenleuchter auf der gesamten Karl-Marx-Allee sowie Nebenstraßen in vier Kategorien aufgeteilt. 80% waren kaputt oder verstümmelt. Deshalb war sich die Stadtpolitik schnell einig, alle Kandelaber in enger Anlehnung an das Original wieder neu herstellen zu lassen. Dafür wurde viel Geld bewilligt. Die Arbeiten sollten mit dem Aufstellen der ersten Lampen Anfang 2007 beginnen. Und tatsächlich kam es dann auch so: fristgemäß wurden alle

Kandelaber in ihrer historischen Gestalt wieder aufgestellt. Nach langer Zeit wurde ich das erste Mal in Bezug auf Stadtpolitik wirklich mal positiv überrascht. Und natürlich bin ich stolz wie Bolle über das Erreichte und glücklich über die schönen neuen Lampen in meinem „Wohnzimmer“. Ich habe dieses freundliche Licht meiner früheren Jahre wieder!

Mein Fazit:
Enttäuscht bin ich allerdings über das aktuell noch immer geringe Niveau der Geschäfte auf der Karl-Marx-Allee. Warum gibt es auf Stadtbezirks- und Senatsebene nicht den Willen und das Vorhaben, diese breite und grüne Allee langfristig mit allen Partnern qualitativ weiter zu entwickeln? Wirtschaft und Politik sollten gemeinsam und gezielt dieses über zwei Kilometer lange einzigartige Architekturjuwel entwickeln. Hochwertigere Geschäfte, Restaurants, Cafés, Kultur und Nachtleben mit Niveau müssten hier plaziert werden. Die Karl-Marx-Allee sollte neben dem Ku ́damm ein weiteres Aushängeschild für ganz Berlin werden.

Mein Stoßgebet:
Muss ich denn wirklich im nächsten Leben regierender Geschäfte-Meister der Karl-Marx-Allee werden ???!!!

Kurzbiografie Lutz

Baujahr 1962, die ersten fast 10 Jahre in einer kleinen Gemeinde in der Niederlausitz verbracht,

Dezember 1971 Umzug nach Berlin - Friedrichshain, seit dem (50 !!! Jahre) hier ansässig, 1983 - 1986 Studium Kulturwissenschaften in Meißen, danach viele Jahre im Kulturbereich tätig

Interessen: Natur, Kultur (speziell Musik), Sport, gute, gesellige Gespräche bei Bier