Wildlife am Großen Teich
Nachdem ich über Stunden vergeblich versucht hatte, Schlaf zu finden, entschloss ich mich an jenem Sommermorgen, in den Friedrichshainer Volkspark zu fahren... Dort angekommen, suchte ich nach einer Bank, von der aus ich am besten Kaninchen, Eichhörnchen oder vielleicht den Fuchs beobachten konnte.
Da fiel mein Blick auf den Uferbereich am sogenannten Großen Teich. Dort saßen auf 2 Bänke verteilt 9 Leute. Damit hatte ich nicht gerechnet- es war früh am Morgen, noch nicht einmal 5 Uhr. Und sicher hatte ich den einen oder anderen "Frühaufsteh-Jogger" dort erwartet, aber nicht 9 wahrlich zusammengedrängt sitzende Personen.
Klar machte mich das neugierig, und so stieg ich vom Rad. Im Näherkommen sah ich, dass keiner von ihnen unter 50 war, und dass einige sogar Frühstücksbrote und Thermoskanne bei sich hatten. Ich bemerkte auch, dass sie kaum, und wenn, dann sehr leise, miteinander sprachen. Nach einem ebenso leisen " Guten Morgen!" und einem freundlichen Smalltalk wusste ich, dass die kleine Gruppe sich hier, so es das Wetter zuließ, allmorgendlich traf und auf irgendetwas wartete. Doch auf meine Frage, was das denn sei, lächelten sie einvernehmlich und schwiegen. Eine ältere Dame lud mich ein, auf der Bank links von ihr Platz zu nehmen. So gesellte ich mich zu ihnen, gespannt, was da wohl geschehen würde.
Minute um Minute vergingen... Immer, wenn ich fragend in die Gesichter der Anderen blickte, antwortete mir ihr Lächeln und Schweigen. Also hieß es: weiter warten.
Und dann kam er plötzlich- ein Graureiher. Er landete genau vor uns auf der kleinen Insel. Als wollte er uns zum Applaus auffordern, schlug er seine Flügel mehrmals vor seinem Körper zusammen. Dann legte er sie an, zog seinen langen Schnabel durch einige Federn und stand schließlich mit lang gerecktem Hals wie erstarrt da.
Ich wagte kaum zu atmen. Noch nie hatte ich diesen scheuen Vogel so nah gesehen.
Da! Plötzlich ging er äußerst vorsichtig 2 Schritte nach vorn. Er stand nun direkt am Rand der Insel. Ich blickte zum Wasser und sah, wie sich in seinem Spiegelbild rote Flecken bewegten. "Stimmt ja," fiel es mir ein "hier gibt's Goldfische!" In diesem Moment schoss der Schnabel des Reihers genau dort ins Wasser hinein. Als er gleich darauf wieder auftauchte, hatte er einen großen Goldfisch aufgespießt.
Ich war platt! Welch ein Naturschauspiel!
Hoch erhobenen Hauptes wandte sich der Reiher in unsere Richtung. Ja, er wirkte würdevoll und stolz auf die Beute, die er gerade gemacht hatte. Nach einer Weile ließ er den Fisch zu Boden fallen. Er nahm ihn erneut auf, legte ihn sich im Schnabel der Länge nach zurecht und schluckte ihn schließlich hinunter. Kurz darauf erhob er sich in die Luft und war auch schon verschwunden...
Und dann hatte die Stille ein Ende. Alle Spannung entlud sich- Applaus, lautes Lachen und Bravo-Rufe um mich herum. Welch eine Begeisterung, welch eine Freude in den Gesichtern dieser Menschen! Und ich war glücklich, diesen wundervollen Morgen mit ihnen erlebt zu haben... Ich glaube, ich habe damals den ganzen Tag gelächelt...
Das ist nun schon einige Jahre her. Ich war nie wieder zu so früher Stunde dort am Großen Teich. Ich weiß also nicht, ob sich das Grüppchen dort noch trifft, ob der Reiher dort noch allmorgendlich auf Jagd geht. Aber vielleicht verschlägt es jemanden, der diese Geschichte gelesen hat, eines frühen Morgens in den Friedrichshain an genau jenen Ort. Er könnte uns dann davon erzählen...
Kurzbiografie Karola Walter
Geb. 1957 in der Altmark (Sachsen-Anhalt), lebe seit 1980 in Friedrichshain, arbeitete u.a. als Lehrerin, Puppenspielerin, Zeitungsverkäuferin, Galeristin. Mein Leitsatz: Das Leben ist bunt.
Hobbies: Garten, Fotografie, Geschichten schreiben und erzählen, Malerei, kreativ sein