Zwischen Rummelsburger Bucht und Spree, mitten in Berlin und im Bezirk Friedrichshain, liegt die Halbinsel Stralau. Dass diese einmal zu meinem Wohnort werden sollte, wäre mir im Traum nicht eingefallen.

Es gibt eine Geste, die man macht, wenn irgendetwas eintritt, was man früher nicht für möglich hielt.

Ich hätte diese Bewegung des Zeigefingers in Richtung Stirn mit 100%iger Sicherheit getan, wenn für mich das Thema damals gekommen wäre, nach Berlin zu ziehen. Passiert ist es innerhalb ganz kurzer Zeit dann doch.

Da ich Alt-Stralau aus vergangenen Kurzurlauben bereits gut kannte, war es aber auch damals schon ein Glückstreffer, hier eine kleine Wohlfühloase gefunden zu haben.

Nun ist es fast 20 Jahre her, dass es mich in die Hauptstadt verschlagen hat. Nicht nur ich habe mich in dieser Zeit verändert, auch Stralau ist vom Erscheinungsbild anders geworden. Die Landzunge lässt noch ein wenig von der einstigen sehr naturbelassenen Ecke der Stadt hervorblinseln, doch nach und nach sind Wohnanlagen dort entstanden, wo einst kleine Grünflächen zur Erholung einluden.

Die ersten Monate kam ich mir vor wie ein Sandkorn in einem großen Sandhaufen. Nach kurzer Eingewöhnungsphase fielen mir damals aber auch schon so kleine bauliche Veränderungen auf, zum Beispiel auf der Inselspitze. Dort waren einst, meinen Erinnerungen nach, ein Kohle-Depot sowie eine Bootswerft. Beides war nicht mehr zu erahnen. Deren Platz hatten damals schon Wohnhäuser eingenommen.

Unentbehrlich gewordene Rundgänge kreuz und quer über Alt-Stralau gehörten damals fast zu meinem täglichen Programm. Der Uferwanderweg, der Anfang der 2000er Jahre nur in kleinen Stücken zu erahnen war, führt heute fast 3 km um die Halbinsel herum. Hier, an einer schönen Stelle an der Spree, habe ich auch meine Lieblingsbank entdeckt, die mir seit Jahren die Treue hält, auch wenn der Zahn der Zeit an ihr nagt.

Vor ungefähr 3 Jahren traf ich an der Haustür ein älteres Pärchen, das sich interessiert umschaute. Irgendwie kamen wir ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass sie in den 80iger Jahren hier gewohnt haben. Sie waren sehr erstaunt, wie sich hier fast alles verändert hatte. Der Mann erzählte mir, dass er kurze Zeit im Glaswerk gearbeitet hatte und nun staunte, was daraus geworden war.

Als ich nach Stralau kam, war der Betrieb des Glaswerkes bereits eingestellt. Dieses alte Ziegelsteingebäude war ziemlich stark vom Unkraut umwuchert, und wie fast alle alten ungenutzten Gebäude hatte es zerschlagene Fenster und andere starke Beschädigungen. Genutzt wurde es damals von Jugendlichen die sich dort trafen und sich mit lautstarker Musik bemerkbar machten, sowie für Filmarbeiten, die in der ehemaligen Werkstatt durchgeführt wurden.

Heute ist eine schicke Wohnungsanlage daraus entstanden. Ebenso auch im ehemaligen Flaschenturm, der einst zur Engelhardt-Brauerei gehörte. Hier wurden die modernen Wohnungen so gebaut, dass man nur staunt, was man aus Ruinen alles machen kann.

An der Spitze der Halbinsel, ist noch eine kleine Grünfläche, die zum Verweilen und Genießen einlädt. Nicht nur der rege Verkehr an Booten und Schiffen, die auf der Spree im Sommer in Richtung Stadt oder entgegengesetzt schippern, auch die gegenüber liegenden Uferseiten der Spree, wie der Treptower Park oder die Rummelsburger Bucht, laden zum Beobachten und Staunen ein.

Möchte man Stralau dann wieder verlassen und läuft auf der einzigen Hauptstraße oder dem schon erwähnten Uferwanderweg entlang, bemerkt auch jemand, der nicht hier wohnt, dass links und rechts Wohnhäuser entstanden sind, die das Licht der Welt erst vor ein paar Jahren erblickt haben.

Nicht nur Wohnblöcke wurde zahlreich erbaut. Auch alte, teils stark verfallene Fabrikgebäude, wie das bereits erwähnte Glaswerk und der Flaschenturm, aber auch das höchste Haus auf Stralau, der ehemaligen VEB Berlin Kosmetik (heute „Das goldene Haus“ genannt) bekamen ein neues Innenleben- über 100 Mieteinheiten sind jetzt dort untergebracht.

Natürlich ist auch die Einwohnerzahl in die Höhe geschnellt. Es sollen mittlerweile an die 5000 Einwohner auf der Halbinsel wohnen. Obwohl - so sicher bin ich mir dabei auch nicht mehr. Durch die Schnelligkeit der Bauarbeiten wird sich diese Zahl wahrscheinlich noch um einiges erhöhen.

Begrüßt bzw. verabschiedet wird man von Alt-Stralau gleich an der S-Bahn-Unterführung von einem ca. 300m langen Neubau, der sich in Richtung Ostkreuz hinzieht. Dort sollen Büroräume, ein Restaurant u.a. ihr Zuhause finden. Wie groß war die Freude, als es sich herumsprach, dass hier auch ein Supermarkt untergebracht werden soll, gab es doch bislang auf Stralau keine Einkaufsmöglichkeiten, außer einen kleinen Backwarenladen.

Auch die ersten Angestellten wurden bereits gesichtet, was darauf hindeutet, dass das Warten bald ein Ende hat…

Kleiner Nachtrag:

Das Warten hat ein Ende - der Supermarkt wurde Mitte Juni 2021 eröffnet.