Heute sicher einer der schönsten Orte, die man sich in einer Stadt wünschen kann. Ich komme oft - Lesen hier ist Luxus. Irgendetwas blüht und duftet immer. Im Frühjahr die Büsche im ehemaligen und jetzt wieder ausgegrabenen Kanal. Im Juli der Rosengarten am Engelbecken. Marihuana-Wolken, die durch tief hängende Äste entschweben. Vögel, die in den Pergolen um Wette zwitschern. Junge Einwanderer, die wie an einer mediteranen Strandpromenade flanieren. Liebespaare, die betont sittsam flirten. Kinder und Hunde, die begeistert im Becken am indischen Brunnen herumplantschen. Das war hier nicht immer so...

Erste Begegnung

Ich war 1984 aus dem Rheinland zum Studium nach Berlin gezogen und natürlich neugierig. Gut zweihundert Meter rechts von meiner Haustür. Quer über die Strasse und am Bethanien-Damm dann zwei Meter parallel zum Bordstein. Aber auf meiner Seite war sie wenigstens eine riesige Fläche für bunte Graffitis. Und einige wirklich erlesen gut. Als ich sie zum ersten Mal in Echt und aus der Nähe sah, war mein erster Gedanke:
In einer Stadt völlig widernatürlich. Und wie die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beisst, nicht nur räumlich scheinbar endlos. In meinem Umfeld gab es niemand, der ernsthaft glaubte, dass dieses Ding irgendwann verschwinden würde. Hier war die Welt, wie ich sie kannte, zu Ende. Ich kannte Toledo oder Amsterdam von Reisen her, aber Ost-Berlin? Meine Familie hatte keine Angehörigen dort "drüben". Die "Brüder und Schwestern hinter dem eisernen Vorhang" wurden zwar in jeder Sonntagsrede meiner Kindheit pflichtschuldig erwähnt, nur konnte ich mir als Kind kaum vorstellen kann, was damit gemeint ist. Immerhin konnte ich hier aber, anders als die Ost-Berliner auf ein Holzgerüst steigen und darüber sehen. Eine Abfolge verschiedener Streifen von Barrieren, die noch zusätzlich mit Grenztürmen und Hunden gesichert waren. Das Ganze kontrolliert von Grenzern mit sog. "Schiessbefehl". "Antifaschistischer Schutzwall"?  Zumindest ein Teil der Barrieren, die Zäune und der Autograben, war klar ersichtlich gegen eine Bewegung von Ost nach West gerichtet.(*1)

Was für ein Aufwand um zu verhindern, dass Menschen sogenannte "Republikflucht" begehen, also ihr Menschenrecht auf Freizügigkeit wahrzunehmen, dass zumindest in Preußen spätestens seit 1807 für alle gilt. Man musste keiner der vielen zeittypischen Kommunistenhasser sein, um hier den betonierten Offenbarungseid eines Unrechts-Regimes zu sehen. Sie war ein brutaler Zvilisationsbruch:
Die Mauer.

Heute sitze ich hier, mitten auf dem ehemaligen "Todesstreifen", der nicht nur so hieß, sondern genau so gemeint war, in der Sonne, lese, höre verschiedenste Sprachen und staune, ja tatsächlich, über Wasserschildkröten und den Graureiher, der manchmal zu einem Besuch vorbeifliegt.

Kurzbiografie Friedrich

Friedrich wuchs in den sechziger Jahren im Rheinland auf, zog 1984 nach Berlin und lebt seit dem in Kreuzberg.