Bei meinem nächsten Ausflug in die Hauptstadt der DDR, in Begleitung von Tina,
werden wir an der Grenzübergangsstelle des heutigen Tränenpalastes, abgewiesen.
"Unser Besuch sei nicht erwünscht!" - lautet die Mitteilung.
Musterprüfung nicht bestanden. Keine weiteren Erklärungen. Einlass wird nicht gewährt. Fragen sinnlos.
Wir wissen warum. Das Anarchie-Symbol auf Tinas Lederjacke.
Kein Problem. Wir verkleiden uns „so normal wie nur möglich“ und begeben uns zum Grenzübergang Bornholmer Strasse.
Mit einem harmlosen Lächeln auf den Lippen winken uns hier problemlos die Grenzposten ins Berlin der DDR hinein.
Erster Eindruck: Köstlichster Duft von frisch Gebackenem.
Schrippen - spottbillig, superlecker.
Weiter wandern, schrippensatt. Ohne konkretes Ziel.
Ein Grüppchen lustiger Ost-Punks vor einer Kneipe. Bier! Auch hier: wundern wie billig!
Trinken noch eins und noch eins und noch eins - immer lustiger.
Leicht beschwipst - einen süssen Typen kennenlernen. Verknallen uns glatt ineinander. Hey.
Tina gabelt auch einen Flirt. Irgendwann küssend - rast die Zeit gen Mitternacht.
Die Jungs begleiten uns zur Grenze. Abschied ist nun angesagt - Händchen haltend, unausweichlich.
Es fühlt sich an wie Film, romantisch-kitschiges Liebesdrama.

Wir lösen uns - ein lachendes, ein weinendes Auge - und wechseln in letzter Minute auf die andere Seite.

`Liebesbriefe aus der DDR´ - innig und herzzerreissend - folgen.
„Mein liebster Schatz! Als du hinter dem Grenzgebäude verschwunden warst, mußte ich erstmal laut Scheiße brüllen.
Wir beide sprechen die gleiche Sprache und können doch nicht zusammen sein. Warum? Warum? Warum?…
Wenn du mein Engel mir aber so oft du kannst schreibst, hilft es mir über den dunklen Schatten hinweg….“

Charmante wie traurige Zeilen. Antworte gleich.
Ein lebendiger Briefwechsel… - dann plötzlich Stille.

Was ist los?

Allein dieser Frage gilt mein nächster Besuch.
Stadtplan bekomme ich am Grenzübergang. Mit Strassenbahn nach Friedrichshain. Einfach, die Adresse zu finden.
Richard-Sorge-Strasse 25a. Und ich in Sorge.
Plus einen Schimmer Hoffnung im Herzen, Schmetterlinge im Bauch, Herzklopfen beim Klingeln.
Klingle. Nichts. Nochmal klingeln. Nochmal Nichts. Lausche an der Tür. Still.
Warte. Lausche. Warte.
Nichts.
Lausche. Warte. Lausche.
Nichts.

Kurze Mitteilung kritzeln. „Komme in 2 Stunden wieder!“ Zettel unter der Tür durchschieben.
Laufe durch die Gegend. Trist, grau. Kaum ein Mensch.
Umwelt nehme ich wenig wahr. Richtung - völlig egal. Laufen, einfach nur Laufen.
2 Stunden später bin ich wieder vor der Tür.
Klopfe Klingle Klopfe. Gebe auf.
Was ist nur los?

Ein Jahr später eine Eilsendung per Express:
„….bin heute erst aus dem Knast entlassen worden. Einfach herrlich wieder frische Luft zu atmen.
Ich hatte versucht illegal einen Brief an Dich rauszuschmuggeln aber der ist abgefangen worden.
Kommst du bald mal her? Dann kann ich dir erzählen warum Knast und so. Schreiben wäre zu gefährlich…."

Warum Knast und so - habe es nie erfahren.
Wir haben uns nicht wieder gesehen.


„…“ = die Zitate aus den Briefen sind Original-Text

Kurzbiografie Anke

1965 in der franz. Schweiz geboren,
im Schwarzwald aufgewachsen und seit 1985 in Berlin.
Seit 2002 in Kreuzberg.
Partylustiger Kreativling. Collagen-Fotomontagen-
Tanz-Theater-Poesie.
Erzähle hier kleine Episoden prägnanter Momente
beim Wandeln in dieser erlebnisreichen Stadt.