Hier, am Rand von Kreuzberg im Park am Gleisdreieck, wo jetzt ein Parkhaus steht, befand sich Anfang der Neunziger ein kleines Gewerbegebiet. Die betagten, aber schmucken Häuschen und Lagerhallen aus rotem Backstein schmiegten sich eng aneinander und gaben sich gegenseitig Halt.

Die Mauer war gerade offen und der Potsdamer Platz war noch nicht bebaut.

Ich spielte damals in einer Rockband und unter einer dieser Lagerhallen hatten wir unseren Übungsraum. Er war wie ein Gewölbe gebaut und innen nicht verputzt. Man brauchte nur gegen eine Wand sprechen und hörte es gegenüber klar und deutlich.

Eine tolle Akustik!

Ich weiß noch – nach Probenschluss steckte ich meinen Stimmschlüssel immer in ein kleines Loch im Mauerwerk, damit er nicht verloren ging. Und ein paar Jahre später, als die Bauten abgerissen wurden und wir raus mussten, vergaß ich wohl den Schlüssel in der Mauer, was mir auch erst dann einfiel, als das Parkhaus schon stand und der Park angelegt war. Und wenn die Keller damals nur zugeschüttet wurden, dann steckt mein Schlüssel möglicherweise noch immer in der Mauer unter dem Park am Gleisdreieck.

Wer weiß, vielleicht graben hier in 2000 Jahren irgendwelche Archäologen, finden meinen antiken, rostfreien Vierkant-Stimmschlüssel und fragen sich, wozu das Ding wohl gut war.

Und wer weiß, vielleicht bin ich ja einer dieser Leute und grabe meinen eigenen Schlüssel aus.

Es wäre theoretisch möglich.

Und würde ich mich dann erinnern, dass dies mein Schlüssel war und ich hier unten mein Schlagzeug damit gestimmt habe – in einem längst vergangenen Leben?

Auch das wäre möglich – immerhin entwickeln sich die Menschen ja weiter, auch auf geistigem Gebiet, von wo aus der Mensch dann einen schönen Überblick über seine gelebten Leben hat.

Nun denn, schlafe wohl, Vergangenheit – vielleicht sehen wir uns später wieder.

Viel später...

Kurzbiografie Karl

Karl Klar (geboren in Ostwestfalen) macht Gemälde, Zeichnungen und Medienkunst.
Auf der Suche nach neuen Methoden zur "Lektüre der Stadt" konzentriert er sich auf die Idee des "öffentlichen Raums": Der nicht-private Raum, der immer dann privat wird, wenn er als Lieblingsort erkoren wird. Karl Klar lebt und arbeitet in Berlin-Kreuzberg.