Wenn die Seele weg ist, bleibt nur noch ein Leichnam übrig. Das fällt mir besonders bei Häusern auf, da sie doch nach ihrem Tod noch lange präsent sind.

In der Kreuzbergstraße am Fuße des Wasserfalls steht verträumt und backsteinig seit 130 Jahren die Villa Kreuzberg.

Das im Schweizer Landhausstil gebaute Schmuckstück war ehemals die Residenz des Obergärtners des Viktoriaparks. Und manches Mal, nach getaner Arbeit, saß er vielleicht bei Gaslicht und Grammophon. Hätte man diesem Mann gesagt, dass hier in hundert Jahren drei Ärzte mit bunten Haaren und schrägen Klängen versuchten, die ungefähre Lautstärke eines startenden Jumbojets mittels elektronischer Instrumente zu erreichen, hätte er nur ratlos mit dem Kopf geschüttelt.

Manche Dinge lassen sich nur schwer erahnen.

Seit den frühen Achtzigern war die Villa ein vom Bezirksamt eingerichtetes Jugendzentrum. Ich war fast täglich dort, war ja selbst noch jung. Im Keller befand sich ein voll eingerichteter Proberaum für Musiker, welcher aufgrund reger Nachfrage stundenweise vermietet wurde. In diesem Haus begannen meine ersten musikalischen Schritte. Lernte dort viele Freunde kennen; saßen oben im Cafè, spielten Schach, machten Fotokurse oder sahen fern - oben, wo damals vermutlich der Gärtner schlief.

Neben dem Haus gibt es einen großen Saal, wo zu dieser Zeit Konzerte oder Tanzpartys stattfanden. Half mit beim Auf-und Abbauen. Hier spielten die Kaspischen Ärsche, die noch nicht sehr bekannten Element of Crime - noch mit englischen Texten, die Rainbirds, Neue Liebe und auch die Ärzte auf ihrer ersten Tour. Sprach mit Sven Regener über deutsche Kultur und trank reichlich Bier mit Bela B.

Es war eine aufregende Zeit, die ich nicht missen möchte, aber Zeiten ändern sich.

Mit den Jahren wird das Leben meist ruhiger. Bis zum Jahr 2004 blieb ich der Villa treu - oft auch im Proberaum, wenn auch nicht mehr so häufig, weil meine Wege mich mal hier, mal dorthin führten. Und dann wurde sie an einen privaten Investor verkauft, obwohl das Bezirksamt dieses immer ausgeschlossen hatte. Also - Sachen packen und aus die Maus. Kultur war gestern.

Heute ist dort ein Restaurant drinnen, und zwar eines, in das ich nicht reingehe - zu gehobener Durchschnitt. Ich war vor kurzer Zeit dort, nur mal so, um zu sehen…
Leute saßen leise, verputzten ihre kleinen Portionen mit diesem Ich-hab-absolut-keinen-Spaß-im-Leben-Blick.

Trank einen teuren Kaffee, der nicht schmeckte, von einer Bedienung, die nicht lächelte.

An der Tür ein Schild: Toiletten im Keller. Mir schwante Übles. Ging hinunter, zwei Stufen auf einmal - wie damals - dachte kurz, ich würde Keyboardklänge hören, aber es war nur Wasserrauschen…

Sie hatten aus unserem schönen Proberaum die Toiletten gemacht.

Also das zu sehen, war hart für mich, das tat mir wirklich körperlich weh, weil mir da bewusst wurde, dass es vorbei war - für alle Zeiten vorbei!
Ich werde niemals wiederkommen, aber ich werde mich immer daran erinnern.

 

Kurzbiografie Karl

Karl Klar (geboren in Ostwestfalen) macht Gemälde, Zeichnungen und Medienkunst.
Auf der Suche nach neuen Methoden zur "Lektüre der Stadt" konzentriert er sich auf die Idee des "öffentlichen Raums": Der nicht-private Raum, der immer dann privat wird, wenn er als Lieblingsort erkoren wird. Karl Klar lebt und arbeitet in Berlin-Kreuzberg.