Es gab mal eine Zeit, da musste ich zum Telefonieren immer aus dem Haus gehen.

Anfang der Achtziger, als ich nach Berlin kam, hatte ich noch keinen Festnetzanschluss und die Ära der Mobiltelefone war weit weg.

Natürlich hätte ich mir einen Anschluss besorgen können, aber irgendwie mochte ich die Stille zuhause und auch dieses luxuriöse Gefühl, nicht ständig erreichbar zu sein. Zumindest für einige Jahre - bis mich berufliche Gründe dazu zwangen, sich der Herde anzuschließen, wollte ich mich nicht stündlich vier Treppen runter und wieder rauf quälen.

Nun, bis dahin musste man allerlei Vorbereitungen für ein Telefongespräch treffen. Da war zunächst mal der Blick aus dem Fenster - wie sieht das Wetter aus, was muss ich anziehen, und so weiter. Oder gehe ich heute mal gar nicht raus?

Hab ich genug Kleingeld, welcher Tag ist heute, welche Zeit, kann ich noch irgendwo wechseln? Wen muss ich anrufen, warum und wie lange? Und schließlich - ist der Angerufene überhaupt zu Hause?

So gerüstet, ging ich dann nach unten, einmal um die Ecke zur nächsten Zelle, die - wie sollte es auch anders sein - besetzt war.

Manchmal traf man aber auch auf einen abgerissenen Telefonhörer, der vielleicht die letzten Worte einer gescheiterten Beziehung mithörte und nun traurig auf dem Boden lag.

Oder irgendein Spaßvogel steckte Streichhölzer tief in den Münzschlitz, welcher dann ewig verstopft war und dergleichen mehr.

Kabelgebundene Kommunikation im öffentlichen Raum war damals halt Glücksache…

Nun, zumindest im dicht besiedelten Kreuzberg war diese Problematik keine solch große, denn alleine bei mir um den Block gab es fünf Telefonzellen, von denen wohl eine benutzbar sein sollte und die ich nacheinander gemütlich abschreiten konnte.

Bis Mitte der Neunziger waren diese sattgelben Zellen reichlich vorhanden. In der Psychologie der Farben steht das Gelb unter anderem für Kommunikation und außerdem ist sie die am meisten sichtbare Farbe, die ungemein hilfreich war, wenn man in unbekanntem Terrain unterwegs war und schnell zu Hause anrufen musste, dass man erst später kam, weil man sich verlaufen hatte.

Im Zuge der Privatisierungen nach der Wiedervereinigung änderte sich nach und nach das Gelb in Magenta. Außerdem wurden immer mehr Kartentelefone eingeführt, welche den ständigen Kleingeldhaufen in der Hosentasche auf ein erträgliches Maß reduzierten. Diese Karten waren teilweise recht hübsch anzusehen und auch für Sammler interessant, weil einige doch recht künstlerisch gestaltet waren. Ich selbst habe noch einen ganzen Stapel aus der Zeit, wobei ich mir die meisten nicht selbst gekauft habe, denn viele Leute ließen ihre abtelefonierten Karten in den Telefonzellen liegen.

Nach der Jahrtausendwende nahm die Zahl der ein Quadratmeter großen Häuschen Jahr für Jahr stetig ab, umgekehrt proportional zur Zunahme der Mobilfunknutzer. Ich sträubte mich lange, mir so ein Ding zuzulegen, und so musste ich immer längere Wege gehen, um unterwegs zu telefonieren - sogar bis nach Neukölln.

Und dennoch - manchmal vermisse ich den Charme, den diese Zellen für mich hatten. Man ging hinein, schloss die Tür und hatte - Ruhe. Zumindest halbwegs. Und auch die Geräusche, die unwirklich nah waren: Die eigenen Schritte auf dem Betonboden, das Knistern dieser dünnen Telefonbuchseiten, die eingeworfenen Münzen, die sich rollend den Weg durch die metallenen Eingeweide des Apparates suchten, bis sie sich alle schön im Sichtfenster aufreihten, die feinen Zahnräder der Wählscheibe, das Freizeichen, der eigene Atem.

Das alles gibt es nicht mehr.

Heutzutage telefoniert man im Laufen, im Liegen, beim Fahren, auf dem Wasser und in der Luft.

Man sitzt zuhause in Unterhosen und redet mit seinem Chef. Sätze wie: "Wissen Sie, wo die nächste Telefonzelle ist?" Oder: "Dauert es noch lange?" sind mit den Häuschen ausgestorben.

Das Telefonieren war damals spannender.

Ich hatte mir schon überlegt, so eine schöne gelbe Zelle zu kaufen. Irgendwo bei Potsdam gibt es so einen Gnadenhof, auf dem hunderte von ihnen ihre letzten Tage fristen, nur - wer quält mir das Ding vier Treppen nach oben?

Kurzbiografie Karl

Karl Klar (geboren in Ostwestfalen) macht Gemälde, Zeichnungen und Medienkunst.
Auf der Suche nach neuen Methoden zur "Lektüre der Stadt" konzentriert er sich auf die Idee des "öffentlichen Raums": Der nicht-private Raum, der immer dann privat wird, wenn er als Lieblingsort erkoren wird. Karl Klar lebt und arbeitet in Berlin-Kreuzberg.