Im Sommer 1980 kam ich nach Westberlin - gleich nachdem ich aus der Bundeswehr entlassen wurde. Ich warf mein olivgrünes Zeug und die verdammten Stiefel in den Müllcontainer vor der Kaserne und eine Stunde später stand ich schon mit ausgestrecktem Daumen auf der Autobahnauffahrt der Transitstrecke. Alles was ich dabei hatte, war das, was ich auf dem Leib trug; außerdem einen Aktenkoffer - darin waren meine Entlassungspapiere, ein paar persönliche Dinge, ein Stück Brot, ein Apfel – naja, was halt in so einen Aktenkoffer hineingeht.

Eine junge Frau hielt an und nahm mich mit – heutzutage fast undenkbar...Berliner Kennzeichen. Etwas Unterhaltung. Nach ein paar Stunden dann Dreilinden. Die Fassade rot, blau, gelb. Meine Farben. Reisepass aufs Förderband, Grenzer überall. Zwei von ihnen neben unserem Wagen. Unterhielten sich über Alltägliches, konnte mithören, weil das Fenster unten war wegen der Hitze.

Deutsche wie ich, die selbe Sprache, vielleicht im Geiste verwandt, und doch durfte man sich nicht austauschen - verboten. Absurd.

Weiter ging die Fahrt, dachte darüber nach, was hinter mir lag und was wohl die Zukunft bringt.

Mittlerweile Abend. Ankunft in Kreuzberg, Sebastianstraße. Ziemlich dunkel hier alles. Ich durfte bei ihr übernachten. Müde von der Fahrt trotz Überregung des Neuen. Morgens dann gingen wir aus der Haustür und keine vier Meter vor mir teilte etwas graues unsere Welt: die Berliner Mauer.

Erster Gedanke: Ist gar nicht so hoch, kann man locker rüber, wenn man will. Eigentlich.

Ich legte meine Hände daran und ging an ihr entlang. Ein paar Meter weiter machte sie einen Bogen nach links, daneben eine Aussichtsplattform aus Holz und Metall, die ich erklomm.

Wachhäuschen, Stacheldraht, Todesstreifen, Hundegebell. Es sah aus wie ein riesiger Gefängnishof, nur dass hier niemand Basketball spielte.

Von dort oben konnte man gut beide Hälften der Stadt sehen - wir hier und die dort – darüber blauer Himmel und Sonnenschein. Die Sonne schien auf beide Hälften und doch waren die Farben da drüben blasser, kraftloser. Kann eine Mauer auch das Sonnenlicht spalten?

Stieg herunter, hatte genug. Musste jetzt unbedingt was nicht-depressives machen. Drehte mich um, stadteinwärts, lebte mein Leben und kam nie wieder hierher.

Feierte wilde Partys und machte die Nächte durch, fühlte mich frei wie ein Vogel, tanzte im Dschungel, ging ins Kino, schlief in den Parks und auf der Arbeit. Und später dann, als die Mauer fiel, war ich seltsamerweise gar nicht mal so überrascht, denn wie ich schon sagte: Sie war gar nicht so hoch. Eigentlich.

Kurzbiografie Karl

Karl Klar (geboren in Ostwestfalen) macht Gemälde, Zeichnungen und Medienkunst.
Auf der Suche nach neuen Methoden zur "Lektüre der Stadt" konzentriert er sich auf die Idee des "öffentlichen Raums": Der nicht-private Raum, der immer dann privat wird, wenn er als Lieblingsort erkoren wird. Karl Klar lebt und arbeitet in Berlin-Kreuzberg.