Samstagabend in den Achtzigern...
Kein Internet, kein Netflix oder Youtube, keine Ablenkung vom richtigen Leben.
Die Kumpels angerufen, in der Kneipe getroffen, das Tip-Magazin durchgeblättert. Zwei Seiten
Kinoprogramm.
Doppelvorstellung um elf im Weddinger Alhambra - French Connection eins und zwei.
Die Dollar-Trilogie mit Clint Eastwood im Moviemento am Kottbusser Damm gleich um die Ecke.
Oder - Es war einmal in Amerika, gerade frisch rausgekommen - in der Spätvorstellung im Kreuzberger
Babylon.
Wer die Wahl hat...
Wir entschieden uns für Krimi. Am Kotti in die U1 zum Halleschen Tor, Treppe runter und mit der
Geisterbahn bis zur Weddinger Seestraße.
Geisterbahn deswegen, weil nach der Kochstraße der Westen unterbrochen war - was man dann auch der
Lautsprecherdurchsage: "Achtung, letzter Bahnhof in Westberlin!" oder ähnlich entnehmen konnte. Danach
fuhr die Bahn langsam und ohne Halt durch vier oder fünf dunkle Geisterbahnhöfe mit bewaffneten
Wachen, denen wir meist Grimassen schnitten und die Zunge raus streckten. Je nach Bierkonsum war auch
mal ein nackter Hintern mit dabei.
Wir waren jung...
Der letzte Bahnhof im Osten hieß "Stadion der Weltjugend", da wusste ich immer, gleich sind wir durch.
Denn obwohl ich daran jahrelang gewöhnt war, machte dieser depressive Streckenabschnitt für mich
niemals einen Sinn.
Und das so nachhaltig, dass ich mich gezwungen sah, darin zumindest ein Sinnbild zu sehen, und dies war
das Bild vom Leben, vom Tod und der Wiedergeburt:
Ich fahre durch das helle, bunte und laute Leben, kann hier oder dort aus - oder einsteigen, bis der letzte
Bahnhof erreicht ist und die Türen sich ein letztes Mal schließen. "Achtung, letzter Bahnhof im Leben!"
Danach langsam aber stetig durch den dunklen verschwommenen Tod - ohne Halt muss er durchfahren
werden - so lange, bis ein heller werdendes Licht in der Ferne mir sagt: "Gleich bin ich durch." Und dann
geht der ganze Quatsch von vorne los.
Wie auch immer - raus aus der Bahn und rein ins Leben - will sagen, rein ins Kino.
Dort saßen wir dann, in unseren Lederjacken und engen, gestreiften Hosen, in der einen Hand eine Tüte
Eiskonfekt und in der anderen eine Zigarette. Die Füße in den Adidas-Allround Turnschuhen lässig über den
Vordersitz gehängt.
Wir waren glücklich und wussten es nicht.
Es waren andere Zeiten damals. Wilder. Kompromissloser. Wir fühlten uns freier, als wir noch eingemauert
waren. Hat niemanden interessiert, dass im Kino geraucht wurde. Mach das heute mal...
Jemand rief: "Bau mal einen!"
Dann ging das Licht aus und es wurde richtig gemütlich...

Kurzbiografie Karl

Karl Klar (geboren in Ostwestfalen) macht Gemälde, Zeichnungen und Medienkunst.
Auf der Suche nach neuen Methoden zur "Lektüre der Stadt" konzentriert er sich auf die Idee des "öffentlichen Raums": Der nicht-private Raum, der immer dann privat wird, wenn er als Lieblingsort erkoren wird. Karl Klar lebt und arbeitet in Berlin-Kreuzberg.