Mit dem Mauerfall erlebte Kreuzberg eine gründliche geographische Veränderung. Der ehemalige Randbezirk wandelte sich praktisch über Nacht zum Zentrum der Stadt. Dieser Umstand lockte natürlich auch mit der Zeit Investoren an, die - gleich wie Kometen - in den Bezirk einschlugen und in ihrem Schweif die neue Mittelschicht hinterher zogen. Und all das Pläneschmieden und die hochglänzenden Zukunftsbilder für ein modernes Kreuzberg war die Patrone für den Startschuss der schleichenden Gentrifizierung. Das alternative anarchische Kreuzberg verschwand leise wie ein letzter Partygast.

Ganz Kreuzberg war vorher ein Sammelbecken für Künstler, Arbeitslose, Punks, Anarchisten, Althippies und Rocker - ein Gefäß, bis an den Rand gefüllt mit komprimierter Subkultur, die nach der Maueröffnung leider entwich - es fühlte sich an, als ob jemand den Deckel eines Druckbehälters geöffnet hatte.

Manchmal geht ein Vogel zu Fuß, wenn seine Flügel weg sind…

…was hätte mir Schlimmeres passieren können?

Heute gibt es Stadtteil-Touren für Familien - Mutti trägt die Handtasche vorn, die pummelige Tochter ein T-shirt mit riesengroßer HEY-HO-LETS-GO!-Aufschrift, während Papa in umgenähten kurzen Hosen und Sandalen ein halbwegs interessiertes Gesicht macht.

Das alte Kreuzberg ist tot - es lebe der Karneval!

Kurzbiografie Karl

Karl Klar (geboren in Ostwestfalen) macht Gemälde, Zeichnungen und Medienkunst.
Auf der Suche nach neuen Methoden zur "Lektüre der Stadt" konzentriert er sich auf die Idee des "öffentlichen Raums": Der nicht-private Raum, der immer dann privat wird, wenn er als Lieblingsort erkoren wird. Karl Klar lebt und arbeitet in Berlin-Kreuzberg.