Das „Büro für Reise-und Besuchsangelegenheiten (BfRB)“ am Landwehrkanal Nähe U-Bhf. „Hallesches Tor“ und „Amerika-Gedenkibliothek“: Ich befinde mich wieder einmal in einer dieser merkwürdigen Zwischenzonen der Berliner Vor-Wendezeit. Bei Betreten der Räumlichkeiten übergeben mir zwar zuerst Westberliner Beamte ein Merkblatt, darin Hinweise zum richtigen Verhalten in Ost-Berlin. Aber gleich im nächsten Zimmer dann andere Uniformen: hier sitzen hinter ihren Schaltern Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und ihre einzige Aufgabe besteht darin, allen Westberlinern mit behelfsmäßigen Personalausweis (also ohne Bundesadler), Berechtigungsscheine zum Empfang für Tagesvisa nach Berlin Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik auszustellen. Mit diesem Schein geht es dann mit der U6 ab „Hallesches Tor“ zum Bahnhof „Friedrichstraße“ und dort weiter auf verschlungenen Wegen innerhalb dieses großen Bahnhofsgebäudes zur Grenzübergangsstelle (GÜST). Hier muss eine weitere Bedingung erfüllt werden: Ein Pflichtumtausch 1:1 von 25 DM in Mark der DDR. Zurücknehmen, gar Umtausch gehört nicht zum sozialistischen Geschäftsmodell. Es geht ja, ähnlich wie bei dem INTERSHOP-Laden im gleichen Bahnhof, um Beschaffung von Westdevisen (siehe mein Text: „Bahnhof Friedrichstraße. Eine bizarre Zwischenwelt“). Regelmässig habe ich die kleine Buchhandlung im Bahnhofsgebäude aufgesucht und nach guter Literatur Ausschau gehalten. Bücher, Platten und Restaurantbesuch waren eigentlich die einzigen Möglichkeiten, das ganze Eintrittsgeld wieder loszuwerden. Ach ja: Malbedarf aus dem Warenhaus „Centrum“ am Alexanderplatz habe ich auch gerne gekauft.

Einmal, kurz vor der Wende 1989 war meine Mutter zu Besuch und wir wollten gemeinsam unsere Verwandten in Ost-Berlin besuchen. Ich war noch nicht so lange in Berlin, meinte aber, mich schon gut auszukennen. Am Schalter für einreisende Westberliner wurde prompt besagtes Tagesvisum von mir verlangt. Hatte ich nicht, denn ich war davon ausgegangen, das mein toller Ausweis ohne Bundesadler ausreichen würde. Was tun? Meine Mutter war am Schalter „Einreise für Besucher aus der BRD“ bereits durchgewunken worden, denn für sie galt ein anderes Prozedere. Nun hatte sie aber keine Ahnung, wie es dahinter weitergehen sollte. Durch (verbotenen) Zuruf über die Sichtschutz-Blenden hinweg vereinbarten wir, dass sie in der Vorhalle des Bahnhofes auf mich warten solle. Ich würde derweil wieder zurückeilen, um in der oben schon beschriebenen Zwischenzone meinen Berechtigungsschein abzuholen. Das klappte zum Glück zügig und am vereinbartem Treffpunkt fand ich meine etwas verängstigte Mutter tatsächlich wieder. Ängstlich war sie aber nicht nur weil sie im fremden Land kurzfristig auf sich allein gestellt war. Was ich bis dahin nicht wußte: sie hatte die ganze Zeit unter ihrer Kleidung ein paar West-Zeitschriften versteckt. Das war Schmuggel und das war verboten! Ist aber alles gut gegangen.

Am Ende des Tages kurz vor 24.00 Uhr dann die übliche Zeremonie vor dem Bahnhofsgebäude: tränenreiche Verabschiedung von der Verwandtschaft vor dem „Tränenpalast“. Diese Ausreisestation existiert als Museum an gleicher Stelle immer noch.

Das Gebäude, in dem vormals das „Büro für Reise-und Besuchsangelegenheiten (BfRB)“ der DDR untergebracht war, steht übrigens ebenfalls noch an gleichem Platz (Waterloo-Ufer 5-7 am Landwehrkanal). Ein Schild am Eingang weist auf den derzeitigen Mieter hin. Ein alevitischer Kulturverein.

-Ho-

Kurzbiografie -Ho-

Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.