Wir befinden uns im 21. Jahrhundert, genauer: im Sommer des Jahres 2005. In diesem Jahr hatte ich in meiner Rolle als Stadtführer das Vergnügen, eine Infoveranstaltung in einem der wieder neu instandgesetzten Türme auf der Oberbaumbrücke ausrichten zu dürfen. Ähnlich wie schon beschrieben im Text zur Schillingbrücke („Über diese Brücke kann ich nun geh´n“) öffnete sich auch hier wieder ein wunderbares Panorama, nur diesmal von einer um 34 Meter höheren Warte aus. Der Blick ging weit die Spree flussauf und -abwärts. Für einen „Wessi“, der 1988 (also im vorigen Jahrhundert) nach MauerBerlin gekommen war, immer noch eine aufregende Sache. Was gab es zu sehen?

Ganz nah der Osthafen. Noch war er in Betrieb. Die Kräne waren mit dem Löschen diverser Ladungen von Schuten, die an den Kaianlagen festgemacht hatten, beschäftigt. Diese Kähne kamen oft aus einem Ort mit dem in meinen ungeübten Ohren wunderlich klingenden Namen Bydgoszcz. Der Deal mit dem polnischen Nachbarn lautete damals zumeist: Baustoffe gegen Schrott und Abfall. Wobei ich dem damaligen Turmpublikum, genauso wie dem Leser des heutigen Textes, das Nachdenken darüber selber überließ/ überlasse, wer was bekommen hat…     

In der Ferne war das noch 1989 aufwendig erneuerte Riesenrad des ehemaligen „Kulturpark Plänterwald“ zu sehen. Hier hatten die neuen Verhältnisse allerdings schon Wirkung gezeigt: Insolvenz und Schließung des Parks 2002 ließen die Gondeln schon damals drei Jahre still stehen. Die für diesen Stillstand verantwortlich starken Arme hatten mit Sozialismus allerdings nichts mehr zu tun. Vermehrt getrauert über die Schließung wurde vermutlich dennoch nur im ehemaligen Ostteil der Stadt.

Und heute, 2021? Es scheint sich wieder was zu bewegen auf dem Gelände….

Hinter der Elsen-Brücke verbirgt sich, mehr zu erahnen als wirklich zu sehen, ein weiterer Hafen: die Dampferanlegestelle „Hafen Treptow“. Ich erwähnte ihn damals deshalb, weil zumindest die vielen Touristendampfer der „Weißen Flotte“ aus dieser erhöhten Sicht gut erkennbar auf der breiten Spree kreuzten und diese Dampfer auch gerne die Oberbaumbrücke Richtung Stadtmitte passierten.

Sechzehn Jahre später, im Jahr 2021 stehe ich noch einmal auf dieser Brücke. Längst ist sie wieder zu einer stark frequentierten Verkehrsverbindung zwischen den beiden Bezirken Friedrichshain und Kreuzberg geworden. Kein Wunder - ist sie doch nur eine von lediglich vier Verkehrsverbin­dungen zwischen den beiden Bezirkshälften. Alles in Allem: trotzdem ein Ort mit Weite, Wasser und vielen Schiffen. Ich mochte den Ort damals schon und ich mag ihn noch heute, selbst wenn der Blick jetzt nur von einer niedrigeren Warte aus möglich ist.

-Ho-

Kurzbiografie -Ho-

Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.