Zumeist geht ein Museumsbesuch damit einher, dass eine aktuell präsentierte Ausstellung ein Interesse weckt. Bei dem Neubau des Jüdischen Museum Berlin (JMB) in der Kreuzberger Lindenstraße ist dies anders. Fast zwei Jahre lang stand das Museum bis zu seiner offiziellen Eröffnung im September 2001 leer... und wurde trotzdem mit fast 350 000 Besuchern eine Attraktion und Stadtgespräch. Ich wäre in meiner Heimatstadt Hannover nie auf die Idee gekommen, mir leere Ausstellungsräume anzuschauen... Ich wäre dort aber auch nicht auf die Idee gekommen, mich näher mit Architektur und ihrer vielfältigen Wirkung zu beschäftigen. Das ist hier in Berlin anders. Die Stadt verändert sich rasant und öffentliche Räume bekommen andere Nutzungskonzepte verpasst: schneller Wandel, Altes verschwindet, Neues entsteht. So auch hier im etwas bürgerlicheren Teil Kreuzbergs.

Bei dem JMB hängt mein Interesse mit dem Architekten Daniel Libeskind und seinem besonderen Verständnis von Geschichte und ihrer Vermittlung zusammen. Es ist eine mich verunsichernde Architektur. Und genau das war wohl auch Absicht: mit seinem ersten verwirklichten Projekt (!) wollte der Architekt Räume schaffen, die die Sinnlichkeit ansprechen und zugleich mit dem Thema des Hauses korrespondieren: wie kann das Leid der Deportation, der physischen Vernichtung sinnlich vermittelt werden? Wie kann die lebensbedrohlich existenzielle Unsicherheit, wie der Gang in das Exil/ in die Diaspora zeitgemäss dargestellt werden? Und - gibt es eine Chance auf Begegnung und Austausch?

Ein Gefühl davon, was gemeint sein könnte, bekomme ich schon beim Eintritt. Zunächst einmal geht es in einen barocken Bau, das alte Kammergericht. Alles sehr opulent – eben barock. Dann geht es über eine lange Treppe unterirdisch in den schmucklosen Keller des Museumsneubau. Es folgt ein Gang durch leere weiße Räume. Hier noch niedrig, beim späteren Aufstieg wird’s immerhin heller. Im ganzen Museum gibt es fast keine rechten Winkel. Die Fenster, teils nur Schlitze, sind alle schräg verbaut. Dazu kommen Etagenebenen, die mal abschüssig, mal ansteigend sind. Alles sehr verwirrend.

Der Weg führt zu einem schachtähnlichen Raum, dem Holocaust-Turm. In diesem unbeheizten Betonschlot stehe ich und blicke nach oben auf ein kleines Fenster, dem einzigen. Ich weiß nicht mehr, ob ich damals den Himmel gesehen habe. In jedem Fall ist es hier immer kalt.

Dann gibt es noch einen kleinen Hofgarten. Extrem uneben verlegte Pflastersteine mahnen bei jeden Schritt zur Vorsicht: ein sicherer Gang durchs Leben unmöglich, ständiges auf der Hut sein scheint unbedingt erforderlich. Die eingelassenen hohen Steinblöcke mit den schmalen Durchgängen erinnern mich an das Holocaust-Denkmal von Peter Eisenman. Dieser „Garten des Exils“ wirkt auf mich auch zweischneidig: einerseits kann man kann hier genauso leicht unsichtbar werden und genauso leicht verschwinden wie in dem Denkmal von Eisenman.

Andererseits: In diesem Hof wächst ein kleiner Olivenhain. Nach zwei Jahrzehnten ist er mittlerweile groß genug, um gut von aussen gesehen zu werden. Man muss auch hier den Kopf ein wenig heben, da der Hain in etwas erhöhter Position auf den Steinblöcken angepflanzt ist. Und siehe da: ohne einengende Begrenzung links und rechts öffnet sich weit der Himmel. Ein kleiner optimistischer Ausblick hoch erhobenen Hauptes…?

Einen sehr markanten architektonischen Einschnitt im wahrsten Sinne des Wortes bilden die

von Libeskind so bezeichneten „VOIDS“. Am besten übersetzt mit >LEERSTELLEN“:

senkrechte Spalten, die sich in gerader Linie durch die Etagen des Hauses ziehen. Und genauso empfinde ich sie auch: es sind abgründige Leerstellen, die auf einen kaum begreifbaren Kultur- und Zivilisationsbruch, auf einen unwiederbringlichen Verlust hinweisen. Markiert sind diese Stellen durch schwarzbemalte Wände, denen Libeskind die Funktion einer Brücke zuweist. Was ich leider nicht mehr erinnere: ist auch der Fußboden schwarz markiert? Einer dieser VOIDS ist in der unteren Etage begehbar. Wenn denn die Corona-bedingte Schließungen der Museen in diesem Jahr 2021 mal vorüber sind, sollte ich meiner Erinnerung mal auf die Sprünge helfen….

Auf einen ehemals intensiven Kulturaustausch weisen ausserhalb des Baus rudimentär verlegte eiserne Schienenstränge zu ehemaligen Berliner Adressen von bekannten jüdischen und nicht-jüdischen Persönlichkeiten hin. Diese Spuren im Stadtbild werde ich wohl auch noch verfolgen und dem Wandel der Stadt im Hier und Jetzt nachspüren.

-Ho-

Kurzbiografie -Ho-

Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.