Ich hab´s mit Brücken. Oft mit denen, wo Wasser drunter fliesst. Hier in Berlin ist das für mich meistens die Spree. Nach Schilling-, Brommy- und Oberbaumbrücke nun noch ein Text über die Elsenbrücke. Die Spree habe ich mittlerweile über 30 Jahre in Augenschein genommen: mal mit Hoffnung im Frühling, mal mit Eis am Stiel im Sommer, mal zum Herbst hin mit einer melancholischen Nachmittagssonne und dann fröstelnd in einem Winter, der auch wirklich mal ein Winter war. Alles in Allem schon eine ziemlich lange Zeit. Eigentlich die Hälfte meines Lebens. Und ich muss schon sagen: ohne Niederlagen, ohne Blessuren bin ich da auch nicht durchgegangen... Aber als zugezogener Wessi wollte ich selbstbezügliches Gejammere unbedingt vermeiden. Mir kommen deshalb jetzt auch… nein eben nicht: die Tränen, mir kommen ein paar ermutigende Liedzeilen des 1976 ausgebürgerten DDR-Liedermachers Wolf Biermann in den Sinn. Auszugsweise gehen die so:

Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich.

Ursprünglich 1968 geschrieben für den Dichter Peter Huchel, wurden sie Teil des oppositionellen Liedgutes in der DDR. Aber auch Jahrzehnte später funktioniert diese Ermutigung noch (so wünsche ich es mir zumindest) und sie ist auch an meinen Westohren nicht ungehört vorüber gegangen. Manchmal tat Berlin echt weh – auf beiden Seiten von der Spree. Denn darum ging es, zumindest in meinen ersten zehn Berliner Jahren: in dieser immer nur halbfertigen Stadt selbst nicht unterzugehen und gleichzeitig den Glauben an ein geglücktes Leben zusammen mit anderen Menschen nicht beiseite zu legen.

Nun stehe ich im Oktober 2021 auf dem letzten, noch (fast) unbebauten Teil des ehemaligen Osthafens auf Friedrichshainer Seite, kurz vor der Elsenbrücke. Hier war ehemals ein Sprayerparadies mit den zeitweise besten, zumindest mir bekannten, Graffities der Stadt. Nicht viele davon sind übriggeblieben, auch hier wird es sicherlich bald schick werden… Auf wenig mehr als Augenhöhe drängelt sich der Autoverkehr über die besagte Elsenbrücke, die den Bezirk Treptow mit Friedrichshain verbindet. Es ist Baustellenzeit auf der Autospur, Rückbau ist angesagt. Der Berliner Senat gibt sein Bestes für den angepeilten Öko-Umbau der Stadt… Deutlich schneller geht es bei S-Bahn und Regionalverkehr auf dem zweiten separaten Strang der Brücke. Und auch der kleinere dritte Übergang für Radfahrer und Fußgänger wird gut und schnell genutzt.

Um auf die Straße zu kommen muss ich (noch) über eine Mauer klettern. Dann stehe ich oben auf der Brücke und schaue die Spree entlang. Im abendlichen Gegenlicht sehe ich in der Ferne die Oberbaumbrücke. Wieder kommen mir ein paar Liedzeilen von Wolf Biermann in den Sinn. Für dieses Mal lasse ich sie unkommentiert am Schluß dieses Textes stehen und denke mich mal in eine Zukunft. Das Lied geht so:

Wartet nicht auf beßre Zeiten
Wartet nicht mit eurem Mut
Gleich dem Tor, der Tag für Tag
An des Flusses Ufer wartet
Bis die Wasser abgeflossen
Die doch ewig fließen
Die doch ewig fließen

 

-Ho-

Kurzbiografie -Ho-

Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.