Eigentlich sind viele „Berliner Berge“, zumal die natürlichen, übriggebliebene Uferkanten des Berliner Urstromtales. Und dieses Urstromtal ist nichts anderes als ein ehemals großes Flussbett, in welchem die Wassermassen zum Ende der letzten Weichsel-Eiszeit (so um 9.600 Jahre vor Christi) abtransportiert wurden. Spree, Havel, Dahme: letzte harmlose Überbleibsel eines viel gewaltigeren Stromes mit gut fünf Kilometer Breite. Diese Vorstellung von steilen Uferkanten bekommt insbesondere nächtens auf dem Heimweg von einer gelungenen Party im Prenzlauer Berg eine sehr besondere Note – wenn denn das kuschlig eigene Bett auf der anderen Uferseite in Kreuzberg wartet und man eine bestimmte Route nicht vermeiden kann.

Ich habe mich zum Anfang des neuen Jahrtausends oft im Bezirk Prenzlauer Berg rumgetrieben. Da ist der einzig vorhandene Berg zwar künstlich (89 Meter über NN), aber der Stadtteil selber liegt mit ca. 55 Metern ebenfalls noch recht weit oben. Kreuzberg um den Viktoriapark auf der anderen Uferseite liegt in etwa auf gleicher Höhe. Dorthin musste ich also mit dem Fahrrad. Gerne in Schussfahrt zuerst die Schönhauser Allee abwärts und dann noch weiter runter zur Spree, die in diesen Zeiten ungefähr auf 37 Meter über NN dahin fliesst. Das macht einen Höhenunterschied von knapp 20 Metern. Richtung Kreuzberg/ Bergmannstraße hatte ich dann wieder den allmählichen Anstieg vor meinem Fahrradlicht. Das Ganze hatte den wunderbaren Nebeneffekt, das ich zumeist recht frisch und munter, will sagen: nicht mehr allzu trunken zu Hause ankam – und ich kam immer an!

Tauchfahrt
Bei diesen strammen Touren ging aber schon mal die trunkene Phantasie mit mir durch. Einmal dachte ich so für mich: in früherer Zeit, eigentlich in sehr viel früherer Zeit, wäre ich bei dieser Gelegenheit abgetaucht in tiefes Wasser. Meine Reise ginge also eigentlich nicht von Berg zu Berg, sondern von Uferkante zu Uferkante! Inklusive Besuch des tiefsten Flussgrundes im Bereich der heutigen Museumsinsel im Bezirk Mitte. War also nicht immer einfach gewesen dieser Nachhauseweg und ungefährlich durch die Zeiten sicherlich auch nicht. Aber egal, Hauptsache Abenteuer.

„Es fing schon an zu Tagen, als Bolle…“
Bei einer dieser sehr frühmorgentlichen Heimfahrten hatte ich aber noch eine andere geniale Idee. In einem kleinen Büchlein der Leiterin der Geologischen Sammlung des Stadtmuseums Berlin, Dr. Beate Witzel, las ich Folgendes: „In der Weichsel-Eiszeit lag der Gletscherrand nur 45 Kilometer südlich von Berlin und das Eis hatte in diesem Bereich (…) noch eine geschätzte Höhe von 150 bis 200 Metern.1 Statt mit einem tauchfähigen Fahrrad wäre ich in dieser Version nun mit dem Schlitten oder Schneekufen unterwegs. Dann würde ich mich jetzt die besagten 200 Meter weiter oben befinden und ungefähr auf Augenhöhe mit der Restaurantkugel des heutigen Fernsehturms. Waren schon wilde Zeiten – damals.

Klima im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
Noch mal zu diesem breiten Wasserlauf, der das Berliner Urstromtal mitgestaltet hat. Und zu meiner nicht mehr ganz so optimistischen Vorstellung eines immer verlässlich langsam ablaufenden Klimageschehens über sehr lange Zeiträume: dieser Strom könnte auch das Ergebnis eines bemerkenswerten Klimageschehens sein: am Ende der Weichseleiszeit (s. o.) erwärmte sich das Klima der Nordhalbkugel innerhalb eines wirklich kurzen Zeitraumes von nur ca. 50 Jahre dauerhaft um bis zu 10 Grad! Diese Mitteilung habe ich ebenfalls aus dem erwähnten Büchlein von Beate Witzel.2 Ich hatte mal beim „Senat für Stadtentwicklung und Umwelt“ aus einem anderen Anlass nach deren Planungen zum innerstädtischen Wassermanagement nachgefragt. Ihre Antwort war, das sie ihre Planungen den zukünftig erwartet höheren Pegelständen der Spree bereits anpassen. Vielleicht sollte ich mal nachhaken und fragen, was das für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bedeuten könnte. Das wäre aber wieder ein anderer Text.

1 Witzel, Beate: Steine, Mammuts, Toteislöcher. Auf den Spuren der Eiszeit in Berlin
Edition Stadtmuseum Berlin | Kleine Reihe 1. Auflage, Berlin 2016, S. 27

2 ebda, S. 32. Witzel nennt zwar ihre Quelle nicht, aber mittlerweile liegen diese interessanten Teilergebnisse nach Auswertung grönländischer Eisbohrkerne der Öffentlichkeit vor. Das dürfte wohl ihre Quelle sein.

-Ho-

 


Quellenangaben:

  • Digitales Geländemodell DGM25, Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg
  • Topografische Karte TK100, Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg
  • ATKIS, Basis-DLM;  Vermessungsverwaltungen der Länder und BKG, 2008
  • Bildflug Berlin, August 2004, Digitale Orthophotos, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
  • Geologische Übersichtskarten 1: 300 000 und 1: 100 000, Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg
Kurzbiografie -Ho-

Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.