Über Brücken im Bezirk habe ich mich ja nun schon oft in meinen Texten ausgelassen. Oft waren es Brücken, die lange Zeit unbegehbar und unbefahrbar über eine Staatsgrenze mitten in der Stadt führten. Meistens floss Spreewasser unter ihnen durch. So symbolisierten sie ein paar Jahrzehnte eher Trennung als Verbindendes. Nach der Wende lernte ich alle kennen und natürlich bin ich ständig über sie von Kreuzberg nach Friedrichshain und wieder zurückgeradelt.

Anders geht meine Geschichte mit der „Modersohnbrücke“ in Friedrichshain. Wieso anders? Zum einen fließt der Verkehr fast ohne Unterbrechung bereits viele Jahre über sie hinweg und Wasser hatte es auch noch nie darunter. Und zum anderen - nun ja, so richtig wahrgenommen hatte ich sie bislang nicht. So ist es nun einmal in Berlin: als gelernter Wessi (>Westdeutscher), der mehr oder weniger zufällig in West-Berlin gestrandet war, bin ich im ehemaligen Ostteil der Stadt auch nicht immer alle Wege gegangen. Kürzlich hörte ich von einer Bekannten aus dem früheren Ost-Berlin Ähnliches, nur andersherum: für sie schien es eine echte Herausforderung zu sein, mit dem Fahrrad von Friedrichshain bis zu den Yorckbrücken in Kreuzberg vorzudringen…

Zurück zu meiner Geschichte: an irgendeinem frühen Morgen Ende November 2020 stehe ich mit meinem Fahrrad dann doch auf dieser Modersohnbrücke. Mich hatte es sehr früh aus der Wohnung getrieben: die Pandemie drückte auf´s Gemüt und der Lockdown machte Bewegung erforderlich. Das Radeln hatte ja noch Spaß gemacht. Doch jetzt war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob das nun das richtige frühmorgentliche Aktiv-Programm gegen die Lockdown-Rumsitzerei war: Die Stadt war noch nicht richtig wach, der Verkehr durfte nicht und obendrein war es neblig-trübe und feucht-frisch.

Da stand ich nun auf dieser mir ziemlich unbekannten Brücke, allein und eher zufällig als nach Plan. Wie gesagt: kein Wasser, dafür aber Bahngleise unter mir. Ich kam ins Sinnieren. Irgendwann in den späten 70ern war ich mit einer Freundin in Prag, gemächlich floss die Moldau dahin. Tiefer Blick, inniger Kuss - natürlich auf der Karlsbrücke. Später, viel später, aber schon in Berlin, auf der abendlichen Admiralsbrücke in Kreuzberg am Landwehrkanal: gutes Rauchwerk, Bier und Saxophon und alles sehr entspannt. Dann hier im Kulturring Berlin meine Geschichten zu den Spreebrücken. Mit Brücken scheine ich was am Laufen zu haben ...

Mit diesen Gedanken sah ich den Regionalbahnen, der S-Bahn und den ICEs hinterher, die Richtung Ostbahnhof in den dunstigen Tag eintauchten. Meine Stimmung hatte sich zwar etwas verbessert, aber was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Der Dezember kommt erst und wird richtig trist werden. Und dieses Weihnachten wird wohl nicht im Kreise meiner Familie staatfinden. Verbotenerweise wäre das nämlich eine Zusammenkunft von über fünf Personen.

Diese Geschichte wollte wohl auch im Jahr 2022 eine richtige Novembergeschichte werden.

Kurzbiografie -Ho-

Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.