Entschwebende Visionen ohne Wasser
Das Regenwasser-Rückhaltebecken am ehemaligen Flughafen THF
Wie oft bin ich mit dem Fahrrad daran vorbeigefahren auf meinem Weg vom Kreuzberger Südstern, vorbei an parkenden Wohnmobilen hoch zum Columbiadamm: Linker Hand die Anlagen eines Sportvereins (TIB), rechter Hand durch Gartenlauben-Idylle schimmernd ein Teich im Verborgenen. Nirgends war ein Herankommen an diesen Teich möglich, ringsum eine abschließbare Gartenkolonie. Ich dachte mir: auch eine Art von Gated Community. Das ging Jahre so, eigentlich ganze drei Jahrzehnte. Dann plötzlich geschahen zwei Dinge: 2018 wurde auf dem Teich gebaut und 2022 bekam ich zwecks Urlaubsvertretung die Blümchen- und Gemüsegießerei in einem Garten in besagter Kolonie übertragen. Nun hatte ich Zugang, machte mich umgehend schlau und entdeckte wieder einen von diesen verborgenen Orten in Berlin. Und auch dieser hat ein längeres Dämmerdasein zwischen den Zeiten vorzuweisen.
Was ich herausfand: Dieser Teich ist das offizielle Regenrückhaltebecken für den nördlichen Teil des ehemaligen Tempelhofer Flughafenfeldes. Die Anlage existiert seit 1930 und nutzt bis auf den heutigen Tag das natürliche Gefälle im Gelände, um das Wasser in den tiefer gelegenen Landwehrkanal in Kreuzberg abzuleiten. Zusammen mit der Gartenkolonie bildet das Ensemble eine Kaltluftschneise durch das südliche Kreuzberg, in die sogar die Friedhöfe an der Bergmannstraße mit einbezogen sind. Also eine rundum funktionierende innerstädtische Landschaft (!). Für deren Erhalt bedürfte es nicht großer Investitionen oder gar zusätzlicher Arbeit. Im Rahmen des erfolgreichen Volksentscheides gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes steht dieses Biotop erfreulicherweise auch unter Investorenschutz.
Dann kam der Moment, wo innovative junge Architekten und Urbanitäts-Nachdenker die „Floating-University“ gründeten und ein Raumlabor mitten in diesen See stellten. Hier wird schon seit vier Jahren jenseits von kommerziellen Verwertungszwängen über die Stadt von morgen nachgedacht. Allerdings nur noch unter dem Namen „Floating e.V.". Das Projekt wird von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert. Zitat:
„Ein Ort, an dem man lernt, zu handeln, die Komplexität und die Verstrickungen der Welt anzunehmen und zu durchschauen und sich andere Lebensformen vorzustellen und zu schaffen.“
Workshops, Seminare, aber auch viel praktisches Experimentieren in und mit diesem Biotop sind hier also angesagt. Die Bauten selber bestehen aus wiederverwendbaren Materialien, sind temporär und damit schon selber Ausdruck eines Teils der Vision. Das Ganze je nach Wasserstand mal schwebend (> floating) auf einer spiegelnden Wasserfläche, mal dümpelnd im Morast, mal ganz trockengefallen im Gelände. Eigentlich eine win-win-Situation.
Aber es gibt viele Begehrlichkeiten um dieses Gelände. Zum Beispiel diskutiert die Bezirksversammlung Friedrichshain-Kreuzberg immer mal wieder eine Erweiterung des angrenzenden Sportgeländes. Das gefällt den ansässigen Kleingarten-Kolonisten ebenso wenig wie dem genannten Projekt die Diskussion um eine mögliche Randbebauung des Flugfeldes, zu dem das Becken ja auch gehört. Denn eines ist mittlerweile offensichtlich: Die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheides ist bürokratisch bereits bestens wegorganisiert und Volkes Wille Schnee von gestern. Auf dem Bild gut erkennbar der IST-Zustand des Geländes im Oktober 2022: Aus nicht ganz einsichtigen Gründen wird die Zuleitung des Regenwassers von der Flughafen-Verwaltungsgesellschaft immer mal wieder gesperrt. Was machen die mit dem Wasser? Wird es mittlerweile auf dem Tempelhofer Feld dringender gebraucht? Erste Anzeichen in Richtung Zerstörung sind erkennbar: Ich schaue aus der Gartenkolonie auf das Areal hinunter und sehe bereits die trockenen Auslegebahnen und aufgesprungene Böden an den Uferböschungen. Und wenn denn das wenige Regenwasser doch mal ankommt, wird es weiterhin ungenutzt in den Landwehrkanal abgeleitet - ohne dass dem Projekt weitergehende Nutzungs-und Experimentiermöglichkeiten eingeräumt werden. Planen andere Senatsstellen bereits eine zukünftige Bebauung des Geländes? Es wäre schade um dies immer noch gut funktionierende Biotop.
Ich habe kein gutes Gefühl: Bei den sich häufenden Dürreperioden hierzulande stellt sich mir das Ganze als ein sehr sinnfälliges Bild dar. Schneller als gedacht ist Wasser ja auch hierzulande zu einer knapperen Ressource geworden und sollte Achtsamkeit im Umgang mit dieser Ressource nicht eigentlich größer geworden sein? Ich habe Fragen, aber keiner will so recht Antwort geben. Gieße ich also einfach weiter die Blümchen, trinke Pflaumenschnaps unter Bäumen und decke Bein mit Bein.
Kurzbiografie -Ho-
Winter 1988 – das Jahr meines Umzuges aus dem Niedersächsischen nach West-Berlin. Zu dieser Zeit fühlte sich hier noch niemand so recht angesprochen von den Turbulenzen rundherum. Bekanntermaßen änderte sich das aber ziemlich bald. Was für mich bedeutete: als zugereister Wessi war ich zur rechten Zeit am richtigen Ort, um bald viele neue Erfahrungen machen zu können. Ich habe in einer mir damals recht fremden Stadt den ganzen Schwung der Wende-Zeit ab 1989 live erleben dürfen. Kreuzberg, Neukölln, Moabit: das waren die ersten Stadtbezirke, die ich auf meiner Wohnungssuche durch die damaligen Westsektoren der Stadt kennenlernte. Den größten Teil dieser mittlerweile 32 Jahre (Stand 2021) wohne ich aber in Kreuzberg. Hier zog es mich wieder hin, hier lebe, wohne und arbeite ich noch heute. Viel habe ich in diesen Jahren in meinem Kiez, seiner näheren Umgebung und später auch in Friedrichshain erlebt. Große Geschichten, kleine Episoden, mal skuril, mal sehr bedeutend, aber immer mittemang und authentisch. Anfangs etwas wilder, später etwas milder. Davon berichten meine Texte.